Anthrazit

Ein Stück Kohle, das Dipl. Ing. Architekt Holger Gravius von einem Besuch unter Tage mitbrachte, lies ihn nicht mehr los. Form und Struktur des Kristalls inspirierten ihn bei der Planung eines neuen Mehrfamilienhauses: Es entstand eine kristalline Wohnskulptur mit dem Namen „Anthrazit“ (besonders hochwertige Form der Kohle).

Auffallend ist zunächst die außergewöhnliche Fassade des Gebäudes: Eine allumfassende Hülle aus grauen Faserzementplatten. Dach und Außenwände sind eins. Wie bei einem Kohle-Kristall springt das Volumen vor und zurück und folgt geschickt der gebogenen Grundrissform, die der B-Plan auf dem rautenförmigen Grundstück vorschrieb: „Für den Bau eines Mehrfamilienhauses waren der ungewöhnliche Grundstückszuschnitt und die Vorgaben des Bebauungsplanes eigentlich viel zu kompliziert. Für die Umsetzung der Idee, ein Stück Kohle in ein Haus zu transformieren, eignete es sich jedoch. Regenrohre, Rinnen, Briefkästen, Müllboxen, etc. sind geschickt in das Gebäude integriert. Auch die Garagen, die als ein Block quasi unter das Haus geschoben wurden, nimmt man zunächst nicht wahr. Stattdessen prägen wohl dosierte Oberflächenwechsel das Gebäude und glänzende Fensterlaibungen aus blankem Aluminium erinnern an die kristalline Struktur der Anthrazitkohle, auch Glanzkohle genannt. Anstelle von Anbauten oder Balkonen wurden Loggien in das Gebäude geschnitten, so als wären dort Stücke beim Abbau der Kohle herausgebrochen.

Außen wie innen erzählt das Haus auch die Geschichte vom Entstehen der Kohle aus Pflanzen zu Torf, zur Braun- und später zur Steinkohle. Das Motiv des Ursprungs (Pflanzen) taucht immer wieder in Form einer Abstraktion auf: Auf den Garagen zur Straße hin (Siebdruck auf Alucobond), auf dem Balkon zur Gartenseite (lasergeschnittenes, verzinktes Stahlblech) und in Form einer echten Moosfläche im Treppenhaus des Dachgeschosses. Hier findet man auch die Geschichte der Geschichte: Im Keller dient ein durchgefärbter schwarzer Kammputz als Metapher für das Kohleflöz. Das Geländer des Treppenhauses erinnert mit seiner Füllung aus Schweißdrahtgitter an die Körbe, mit denen die Bergleute unter Tage gebracht wurden. Eine LED-beleuchtete Foto-Glaswand im Erdgeschoss erzählt vom Eingriff der Menschen und der darauf folgenden Zurückeroberung des Terrains durch die Natur. Die Mooswand im Obergeschoss wirkt wie ein Kunstwerk. Gleiches gilt für die Treppenstufen, die quasi aus der schrägen Decke wachsen: Sie gehören zur Dachgeschoss-Wohnung und wurden bewusst in das Treppenhaus integriert. Die getreppte Untersicht erinnert abstrakt an das Hangende im alten Mann.